Frauenturnen

Gründung Frauenturnen April 1926

Zu Beginn der Turnbewegung in Oppenau war das Turnen reine Männersache.
Frauen und Mädchen waren in den Anfangszeiten des Turnvereines zum reinen zuschauen bei den Turnvorführungen der Männer verurteilt. Es vergingen 21 Jahre seit der Gründung des Turnvereines, bis sich das weiblich Geschlecht in unserem Heimatstädtchen auch sportlich betätigen durfte.
Die Regierung der Weimarer Republik verordnete für den April 1926 eine Reichsgesundheitswoche, für die in vielen Veranstaltungen, auch für das Frauenturnen, geworben wurde.
Vor allem in den kleineren Orten und Städten fehlten in den Turnvereinen Gruppen die sich um die sportliche Betätigung der Frauen kümmerte.
Der damalige Turnrat kam also nicht mehr umhin sich auch diesem Problem zu stellen. Lange und zeitraubende Beratungen des Turnrates waren von Nöten um zu der Einsicht zu gelangen auch dem anderen Geschlecht die Möglichkeit zu bieten sich durch „Leibesübungen und Körperpflege“ gesund zu erhalten.
Bei der Generalversammlung am 27. März 1926 in der „Linde“ wurden dann die ausgearbeiteten Leitsätze zur Gründung einer Frauenriege den Mitgliedern vorgelesen. Die Bedingungen die vom damaligen Vorstand an das Frauenturnen geknüpft wurden, löste unter den anwesenden Mitgliedern heftige Diskussionen aus.
Letztendlich stimmten aber alle Anwesenden für die Einführung einer Frauenriege.
Die Gründungsversammlung selbst fand dann aber erst am Dienstag den 20. April 1926 unter Vorsitz des 1. Vorstandes Herrn Rösch im „Hotel Post" statt
Aus allen Bevölkerungsschichten waren dazu Frauen und Mädchen der Einladung gefolgt und stimmten mit großer Begeisterung für die Gründung einer Frauenriege.
Um, wie es in den Gründungsunterlagen heißt, jeder Kritik gewachsen zu sein wurden unter anderem auch folgende Leitsätze und Richtlinien für das Frauenturnen festgelegt:

Richtlinien zum Frauenturnen

1. Das Turnen erstrebt den gesunden, starken, geschickten und schönen Körper im Rahmen der Gesamterziehung

2. Das Turnen soll nach Geschlechtern getrennt geschehen, und der Turnunterricht soll von Lehrkräften des gleichen Geschlechtes wie die Turnenden erteilt werden

3. Badeanzug ist zu verwerfen

4. Für Mädchen ist jede Turnkleidung, welche die Körperformen aufdringlich betont, oder sonst der weiblichen Eigenart nicht angemessen ist, zu verwerfen. Einheitliche Kleidung soll angestrebt werden

5. Frauenturnen soll nur in Hallen und Plätzen, wo die Öffentlichkeit ausgeschlossen ist, veranstaltet werden. Sofern dies nicht möglich ist oder wenn eigene Turnkleidung nicht beschafft werden kann, muss es sich auf turnerische Übungen beschränken, die in gewöhnlicher Kleidung ausführbar sind

6. Schauturnen und Wettkämpfe der Mädchen und Frauen sind abzulehnen; sie wecken zumeist ganz unweibliche Art. Die Ablehnung gilt auch von Veranstaltungen innerhalb von Vereinen.

7. Auch der Sport muss sich den gezeichneten Grundsätzen einfügen

8. Er darf auch nicht einseitig Höchstleistungen erstreben und soll alles meiden, das Gesundheit und Charakter gefährden könnte

9. Die Erfüllung der religiösen Pflichten muss unter allen Umständen sichergestellt werden

10. Ein gemeinsames Wandern von Jungen und Mädchen ist zu vermeiden

11. Die rhythmischen Schulen mit ihren Abarten werden am besten vermieden. Hiermit soll aber der Verwendung einzelner einwandfreier rhythmischer Übungen beim Turnen keineswegs abgelehnt werden.

12. Unbedingte Unterordnung, also mustergültige Selbstzucht, freiwillig geübt im Sinne der bewährten Grundsätze unserer deutschen Turnerschaft ist Voraussetzung für ein erfolgreiches Turnen und Ehrensache für jedes einzelne Mitglied in der Riege

Die erste Zusammenkunft sämtlicher Teilnehmerinnen findet am nächsten Dienstagabend um 8 Uhr in der „Linde“ statt, zu deren vollzähligem Besuch wir ergebenst einladen.

Selbst diese, nach heutiger Sicht, strengen und konservativen Bestimmungen hielten 20 Frauen nicht davon ab sich noch am gleichen Abend für das Frauenturnen anzumelden.
Als Riegenführerin stellte sich die Lehrerin Frl. Klara Stark zur Verfügung. Sie erklärte sich bereit jeweils am Dienstag- und Mittwochabend die Turnstunde ab 20 Uhr im Lindensaal abzuhalten.
Dass die beschlossenen Richtlinien nicht allzu lange Bestand hatten, belegen Aufzeichnungen vom 29. April 1928.
Bei einer Gaufrauen- Turnwartenversammlung in Oppenau trafen ca. 50 Teilnehmerinnen am hiesigen Bahnhof mit dem Zug ein und wurden von den Turnern und der Stadtkapelle begrüßt.
Mit der Musik voran zogen die Gäste über die Allmend zum Lindensaal, wo sie sofort im Saale und auch im Freien mit ihren Übungen begannen. Selbst für den damaligen Chronisten war es erwähnenswert, dass das Frauenturnen im Freien stattfand und von einer stattlichen Anzahl Zuschauern verfolgt wurde.
Auch der 1. Vorsitzende H. Rösch sah die vor zwei Jahren beschlossenen Richtlinie nicht ganz so eng, denn er lud die Damen zu einem Spaziergang in das „Hotel Taube“ im Lierbach mit anschließendem Mittagessen ein.
Dieser Einladung wurde mit Freuden Folge geleistet und bald herrschte in der „Taube“ fröhliches Leben, wobei auch die Tanzlustigen zu ihrem Recht kamen.
Innerhalb des Vereines legte man aber immer noch strenge Maßstäbe an. Nachdem männliche Vereinsmitglieder doch zu gerne den Frauen und Mädchen bei ihren Übungsabenden im Lindensaal zusahen, wurde Oberturnwart Müller beauftragt seinen Männern mitzuteilen, dass kein Turner außer dem Turnwart beim Frauenturnen etwas zu suchen hat.
Nur „sittlich gefestigten Turnern“ wird, wenn unbedingt nötig, der Zutritt zu einem Übungsabend der Frauen gestattet.
Turnwart Doll wurde berechtigt Personen die sich nicht an dieses Verbot halten aus dem Saale zu weisen.
Die moralischen Bedenken beim Frauenturnen sind aber nach und nach dem Gesundheitsbewusstsein gewichen, ohne dass dabei sittliche Verwerflichkeiten zu Tage getreten sind.
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